Als Anstaltsarzt muss ich täglich zwischen den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Sicherheitsüberlegungen abwägen und habe ein Tätigkeitsfeld, das außerhalb des Strafvollzuges so nicht zu finden ist.
Die Arbeit erfordert ein hohes Maß an fachlicher, sozialer und kommunikativer Kompetenz. Man muss bereit sein, mit verschiedensten Fachdisziplinen zusammen zu arbeiten und seine eigene Meinung auch mal hinter der anderer zurück zu stellen.
Die Patientengruppe in einer JVA ist überdurchschnittlich krank und häufig durch jahrelangen Drogenmissbrauch belastet. Meine Patienten sind oft schon durch viele Netze gefallen und haben zum Teil über lange Zeit keine adäquate medizinische Versorgung erhalten. Häufig liegt es in der Verantwortung des Anstaltsarztes, eine geeignete Therapie einzuleiten und die notwendige, lang vernachlässigte Diagnostik, zu organisieren. Nicht selten fordern die Gefangenen umgehend Untersuchungen ein, die sie selbst jahrelang vernachlässigt haben. Manchmal hat man aber auch das Gefühl, dass die Inhaftierung für die Patienten fast ein Glücksfall ist, weil sie endlich regelmäßige medizinische Betreuung erhalten.
Als Arzt in der JVA arbeite ich mit einer vielfältigen Patientengruppe, oft aus sozialen Randbereichen und unterschiedlichen Kulturkreisen, und muss häufig medizinische Grundlagen vermitteln. Inhaftierte Patienten sind es oft gewohnt, ihre Beschwerden mit Drogen, Schmerz- oder Schlafmitteln selbst zu behandeln und fordern diese erlernten Strategien fast täglich lautstark ein, während sie ihrer eigenen Beteiligung am Genesungsprozess eher ambivalent gegenüberstehen. Misstrauen und Ablehnung gegenüber medizinischen Maßnahmen sind keine Seltenheit. Daher ist es wichtig, mit jedem neuen Patienten Vertrauen aufzubauen, um eine effektive Arzt-Patient-Beziehung zu entwickeln.
Auch wenn in der JVA das „Primat der Medizin“ gilt, müssen medizinische Entscheidungen immer im Einklang mit den Sicherheitsanforderungen des Vollzugsdienstes und den Interessen der verschiedenen Fachdisziplinen getroffen werden. Darüber hinaus kann ich meine Patienten nicht einfach an eine weiterführende ambulante medizinische Einrichtung vermitteln.
Jede externe Maßnahme erfordert personelle Ressourcen für Transport und Überwachung, die mit den ohnehin begrenzten Kapazitäten konkurrieren.
Diese Mischung aus ärztlicher Tätigkeit, interdisziplinärer Zusammenarbeit und dem Hineindenken in die Belange des Strafvollzugs macht meine Arbeit für mich einzigartig. Auch wenn man schnell Routine bekommt, wird man jeden Tag aufs Neue überrascht und gefordert.