Die eigene Praxis auf dem Land? Die Allgemeinmedizinerin Dr. med. Kerstin Smith hat sich dazu entschlossen und dieses Jahr die Hausarztpraxis von Uta Haufe bei Meißen übernommen. Warum, hat sie uns im Interview erzählt.
Von England zurück nach Sachsen
Sie haben dieses Jahr die Hausarztpraxis von Uta Haufe in Leuben in der Nähe von Meißen übernommen. Was hat Sie dazu bewegt?
Es gab mehrere Beweggründe. Ich habe die letzten 17 Jahre in England als Allgemeinmedizinerin gearbeitet. Das war eine tolle Zeit, doch in England wird die ärztliche Versorgung zunehmend unpersönlicher. Das liegt an der steigenden Tendenz, Patient*innen in riesigen Polikliniken zu behandeln. Mir ist die persönliche Beziehung zu meinen Patient*innen jedoch sehr wichtig, dahingehend bestand also der Wunsch nach einer beruflichen Veränderung. Zudem wollte ich wieder näher bei meiner Familie sein. Ich komme selbst aus der Region und habe noch Verwandtschaft und Freunde vor Ort. Ursprünglich habe ich nach einer Stelle in einem Medizinischen Versorgungszentrum gesucht, um mit über fünfzig nicht die Verantwortung einer eigenen Praxis zu tragen. Durch einen Dokumentarfilm habe ich erfahren wie dringend Frau Haufe eine Nachfolger*in für ihre Praxis suchte. Ich habe ihr dann einen Brief geschrieben und sie hat mich in ihre Praxis eingeladen. Als ich dann vor Ort war, hat die Chemie einfach gestimmt. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick für die Praxis und das Dorf.
Wie war der Prozess? Eine Praxis zu übernehmen, das hört sich nach einem enormen Aufwand an…
Gerade die digitale Umstellung war aufwendig. Ich musste neue Technik anschaffen und viel investieren. Ich habe jedoch das große Glück, dass die Praxis in einem Haus ist, das zu einer Stiftung gehört. Diese hat den Wechsel zum Anlass genommen, das Haus und die Praxis vollständig zu renovieren. Firmen aus der Region haben das Projekt dann in einem Monat Rekordbauzeit verwirklicht! Jetzt haben wir hier eine moderne, funktionstüchtige Praxis – das schafft natürlich ein sehr gutes Arbeitsklima und ist für die Patienten angenehm. Zudem habe ich vom ersten Tag an Unterstützung von vielen Menschen aus Leuben erhalten, dem Dorfklub zum Beispiel. Das war wahnsinnig schön und ich bin sehr dankbar für die große Hilfsbereitschaft. Die Übernahme der Praxis war durch die mediale Berichterstattung ein kleines Politikum und das Thema vielen bekannt. So hatte ich auch vom Bürgermeister schon am zweiten Tag eine Einladung bekommen. Ich glaube einen besseren Start kann man nicht haben.
Wie hat Ihnen das Netzwerk Ärzte für Sachsen dabei geholfen?
Vom Netzwerk Ärzte für Sachsen habe ich Informationen zum Thema Selbstständigkeit und zu Fördermöglichkeiten bekommen. Ich wusste also, dass die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen einige ländliche Orte in Sachsen mit einer Hausarztförderung unterstützt. Zum Zeitpunkt meiner Entscheidung für die Niederlassung in Leuben gehörte leider diese Region nicht dazu. Ich hatte im Zuge dessen schon mehrmals Kontakt zu der Kassenärztlichen Vereinigung aufgenommen, doch ohne Erfolg. Herr Kandzia vom Netzwerk Ärzte für Sachsen hat sich dann bei mir gemeldet mit der Information, dass sich die Förderungsbedingungen geändert haben und mich ermutigt, nochmal Kontakt zur Kassenärztlichen Vereinigung aufzunehmen. So habe ich doch die Hausarztförderung über 60.000 Euro erhalten. Das ist eine enorme Unterstützung, ohne die ich es finanziell nicht geschafft hätte.
Wo sehen Sie Vorteile in der Selbstständigkeit und was sind (neue) Herausforderungen?
Einen großen Vorteil in der Selbstständigkeit sehe ich darin, dass ich Prioritäten nach eigenem Ermessen setzten kann, sowohl bei der Patient*innenversorgung als auch im Praxisablauf. Es fühlt sich gut an, die eigene Energie in das zu investieren, was man für sinnvoll erachtet. Gleichzeitig ist es viel Arbeitsaufwand, das Abrechnungssystem in Deutschland war für mich völlig neu. Zudem hat man in der eigenen Praxis die wirtschaftliche Verantwortung für seine Angestellten. Aber für mich überwiegt ein gewisses Gefühl der Freiheit.
Sie haben zuvor jahrelang in England gearbeitet und gelebt. Wie ist es jetzt für Sie in Leuben zu sein? Was gefällt Ihnen besonders gut und was vermissen Sie?
Als Allgemeinmedizinerin in England habe ich sehr viel gelernt. Die Behandlungsbreite, die man dort als Allgemeinmediziner hat, ist enorm. Es gibt z. B. keine niedergelassenen Kinderärzte oder Gynäkologen! Von dieser breiten Ausbildung kann ich jetzt hier auf dem Land profitieren. Das schönste in der kleineren Landarztpraxis ist das persönliche Verhältnis zu den Patient*innen. In Leuben lerne ich die Menschen, ihre Familien und Geschichten kennen.
In England habe ich in einem Team gearbeitet. Ich vermisse es, Probleme mit Kolleg*innen zu diskutieren. Zum Glück konnte ich hier in Deutschland ich an Freundschaften aus Studienzeiten anknüpfen und habe nun auch hier guten Austausch mit Kolleg*innen.
Für jemanden, der noch nie in Leuben war, wie würden Sie den Ort und die Menschen beschreiben?
Leuben ist ein kleines Dorf im Kreis Meißen mit 400 Einwohner*innen umgeben von einer schönen hügeligen Landschaft. Mein Mann und ich sind echte Outdoor-Menschen, wir wandern gerne, radeln und ich jogge. Das kann man hier wunderbar machen. Und ich wurde unglaublich herzlich aufgenommen. Die Menschen hier sind super offen und hilfsbereit. Man hat sich gleich wie zu Hause gefühlt.
Eigene Praxis und Privatleben – wie bekommen Sie das unter einen Hut?
Ich muss sagen, dass es inzwischen einfacher ist. Meine Tochter studiert in England und ist erwachsen. Ärztin zu sein, wenn man kleine Kinder hat, ist manchmal anstrengend. Da braucht man Unterstützung, auf die man sich verlassen kann. Insgesamt denke ich aber, dass man den Beruf mit Leib und Seele ausüben muss. Auch jetzt in der Selbstständigkeit habe ich zwar schon Zeit für anderes, dennoch ist der Spagat zwischen Praxis und Privatleben nicht immer leicht.
Sie haben ja schon viele Erfahrungen gesammelt sowohl im Ausland als auch jetzt mit der Übernahme der Praxis. Welchen Tipp würden Sie angehenden Ärzt*innen geben?
Auf das eigene Ideal schauen. Als Hausärztin empfinde ich es als Privileg, so ein persönliches Verhältnis zu meinen Patient*innen zu haben. Das muss man sich in stressigen Zeiten vor Augen führen und sich nicht unterkriegen lassen.