Simo Murovski ist Mitinitiator eines Modellprojektes zur besseren augenärztlichen Versorgung im Erzgebirge. Im Interview spricht er über seine Praxis, die Patienten und die Region, über sein telemedizinisches Angebot und über seine Faszination für die Augenheilkunde.
„Was wir hier begonnen haben, kann die Zukunft sein“
Herr Murovski, Sie waren Mitinitiator eines Modellprojektes zur besseren augenärztlichen Versorgung in Marienberg. Können Sie uns dazu etwas mehr erzählen?
Das Ganze geht zurück auf eine Initiative der Landesregierung 2018. Hier suchte man Projektideen, die die medizinische Versorgung der Menschen im ländlichen Raum verbessern könnten. Daraufhin kontaktierte mich die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) mit der Frage, ob ich nicht eine Idee hätte. Und die hatte ich. Und auch die richtigen Partner dafür, denn von Anfang an klappte alles reibungslos. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen der KVS, den Krankenkassen und unserer Praxis. Ohne dies wäre es nicht gelungen, das neue Konzept der Teleophthalmologie (TO) so schnell in die Praxis zu setzen. Bereits 2019 konnten wir nach der Zulassung durch die Kommission der Ärztekammer und mit Zustimmung der zuvor aufgeklärten Patienten, die erste teleophthalmologische Sprechstunde in Deutschland durchführen.
Wie kann man sich das Verfahren und den Ablauf denn vorstellen?
Patienten, die unter einem Glaukom, also dem Grünen Star oder unter den Folgen einer Zuckerkrankheit leiden, die ja auch oft das Augenlicht einschränkt, werden nach erfolgter Einverständniserklärung in die TO Sprechstunde eingeschlossen. Beide Krankheiten sind chronisch und bedürfen meist einer lebenslangen und regelmäßigen Beobachtung durch einen Augenarzt. Direkt in der Praxis. Durch moderne Technologie, wie zum Beispiel einem speziellen digitalen Scanprozess, kann man den aktuellen Zustand des Auges, die Sehfunktion und das Stadium der Erkrankung erfassen und an den Arzt übermitteln. Das wird vom geschulten nichtärztlichen Fachpersonal durchgeführt. In einer fest definierten Reihenfolge werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden per Internet in einer Cloud, also einer Datenbank gespeichert. Auf diese kann dann der Arzt ebenfalls per Netz zugreifen. Egal wann und auch egal von wo aus. Er erhebt den Befund und kann dann festlegen, welche Schritte folgen. Also, ob der Patient beispielsweise ein Medikament braucht, oder ob ein Termin in der Praxis nötig ist. Beides würde der Patient dann wenige Tage später per Post erfahren. Inklusive des Rezeptes, wenn nötig. Natürlich bleibt die Möglichkeit davon unberührt, dass der Patient sich jederzeit in der Praxis persönlich vorstellt, wenn es einen akuten Anlass dafür gibt.
Welche Vorteile bietet das Verfahren, - für Sie als praktizierenden Arzt und für die Patienten?
Für die Patienten liegt dies klar auf der Hand. Wartezeiten auf Termine sind quasi Vergangenheit. Auch entfallen in Corona-Zeiten Aufenthalte in vollen Wartezimmern, was auch ein großer Vorteil ist. Möglich sind dann auch Termine am späten Nachmittag für Berufstätige. Und da bei dieser Technologie auf eine Erweiterung der Pupillen verzichtet werden kann, können die Patienten sogar selbst mit dem Auto zur Untersuchung fahren. Es braucht keine Begleitung mehr und man kann danach auch sofort wieder arbeiten. Die Befunde sind digital bestens aufbereitet und dadurch auch für lange Jahre immer wieder verfügbar, was gerade bei chronischen Erkrankungen und die notwendige Qualitätssicherung wichtig ist.
Aber auch die Fachärzte profitieren. Die reguläre Sprechstunde wird erheblich entlastet. Durch die freie Entscheidung, wann man wie auf die erhobenen Befunde zugreift und diese auswertet, schafft man tatsächlich auch mehr Raum für mehr Termine. Ich arbeitete diese beispielsweise oft in den Pausen zwischen Behandlungen ab. Diese ergeben sich ja zwangsläufig, weil Patienten ja vorbereitet oder die Behandlungsräume nachbereitet werden müssen. Hier gewinnt man Zeit, wird effizienter und kann am Ende auch mehr Menschen helfen. Auch wäre dies ein Plus bei der Werbung um ärztliche Mitarbeiter in größeren Praxen, denn man kann hier einen Mix aus Arbeit in der Praxis und Heimarbeit anbieten, was ja noch ungewöhnlich ist. Gerade bei jüngeren Kollegen findet dies Anklang. Aber alles in allem profitieren die Patienten, denn durch die umfassenden digital aufbereiteten Befunde und die Langzzeitverfügbarkeit derselben, kann eine bessere Beurteilung der Verläufe der Erkrankungen erfolgen. Und das dient in erster Linie dem Wohl unserer Patienten.
Wie lange hat der Prozess gedauert, von der ersten Idee bis zur Umsetzung und dem Moment, wo Sie gedacht haben: „So, jetzt läuft‘s“?
Wie eigentlich immer müssen neue Ideen sich ihren Weg erst bahnen. Und wenn etwas wirklich neu ist – so wie eben unsere Methode – dann ist das natürlich alles andere als ein Selbstläufer. Aber eben die von mir bereits angesprochene, hervorragende Zusammenarbeit mit der KVS, den Kassen aber auch mit der Landespolitik hat diesen Weg geebnet. Mein Dank gilt hier besonders der damaligen Gesundheitsministerin Barbara Klepsch (CDU). Nachdem die Verträge auf dem Tisch lagen, ging es dann sofort los. Wir hatten vorsorglich rechtzeitig investiert und waren deshalb technologisch und personell gut aufgestellt. Manchmal muss man eben auch einfach machen. Auch wenn alles andere noch auf dem Weg ist.
Augenärzte fehlen ja gerade sehr stark, besonders in den Regionen Südsachsens – können Projekte wie das Ihre dazu beitragen, die Lage zu entspannen?
Aus meiner Sicht ist das, was wir hier begonnen haben, die Zukunft. Inzwischen wurde unser Projekt geprüft und von anderen Fachinstitutionen evaluiert. Und sowohl Professor Rehak von der Universität Leipzig als auch Professor Januschowski (Universität Tübingen) – beides anerkannte Institutionen in diesem Fachgebiet – kamen zu sehr positiven Einschätzungen. Das führte dazu, dass die Kassenärztliche Vereinigung den Vertrag mit uns erweitert hat. So können 2022 mehr Patienten in den Genuss dieser neuen Untersuchungsmethode kommen. Auch die Technologien entwickeln sich rasant weiter. Die Politik könnte die derzeitigen und künftig noch wachsenden Engpässe in der ambulanten ophthalmologischen Versorgung im ländlichen Raum ausräumen. Und ehrlich: Was soll die Alternative sein in Zeiten, in denen Fachärzte Mangelware sind und wohl auch bleiben?
Wie nehmen die Patienten das Angebot an? Sind Sie eher auf positive oder auch skeptische Stimmen gestoßen?
Doch als es losging, haben die Patienten von Beginn an das Ganze gern angenommen. Um ein objektives Bild zu bekommen, haben wir sogar eine anonyme Patientenumfrage durchgeführt. Mit vielen Fragen. Unter anderem auch dazu. Der überwiegende Teil der Bewertungen fiel gut und sehr gut aus. Eine klare Bestätigung des Konzeptes. Inzwischen haben die Menschen auch gelernt, dass alles gut funktioniert. Sie schätzen die Vorteile der modernen Technologie, der schnellen Untersuchung. Und sie haben auch gelernt, dass dies nicht bedeutet, dass sie abgeschoben werden. Sie können ja dennoch jederzeit in die Praxis kommen. Mancher musste dies alles erst erleben und ausprobieren, um es wirklich akzeptieren zu können.
War die Augenheilkunde schon immer Ihre medizinische Leidenschaft? Was macht Ihnen besonders Spaß oder reizt Sie an ihrer Arbeit?
Eigentlich vom ersten Tag meines Studiums an. Das Auge ist ein faszinierendes Organ. Die Augenheilkunde an sich ist ein faszinierendes Feld. Nimmt man allein die vergangenen 20 Jahre, so haben wir gerade hier eine wahre Revolution der Behandlungsmethoden, Heilmöglichkeiten und therapeutischen Ansätzen erleben dürfen. Und es ist ein gutes Gefühl, wenn man Patienten wirklich helfen kann, das Sehen zu erhalten. Es ist ein so wichtiger Sinn in unserem Leben, die Welt mit unseren Augen wahrnehmen zu können. Es ist ein wichtiger Teil von uns, der uns Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht. Der uns Farben, Natur und Kunst erkennen lässt. Der uns Buchstabe für Buchstabe Bücher schenkt. Dementsprechend einschneidend ist es für Menschen, diesen Sinn zu verlieren. Und auch, wenn wir trotz allem keine Wunder vollbringen können. Wir können inzwischen so sehr viel mehr tun, als noch vor wenigen Jahren. Und alles entwickelt sich weiter. Und auch wir sind ein Teil dieser Entwicklung. Jede Verbesserung, die wir bei Patienten erreichen können, bedeutet Lebensqualität und am Ende auch Leben. Das ist, was mich antreibt. Das ist, was mich erfüllt an dem, was ich tue.