Im Bereich Public Health geht es um mehr als die medizinische Behandlung des Einzelnen. Über die gesellschaftlichen und ökonomischen Determinanten von Gesundheit, die Herausforderungen in der Hygiene- und Umweltmedizin sowie über hoheitliche Aufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes haben wir in Leipzig mit Dr. med. Birte Pantenburg, M.Sc. Public Health, gesprochen.
Public Health und ÖGD: Die Gesundheit der Bevölkerung im Blick
Frau Pantenburg, Sie sind Ärztin und haben zudem viel geforscht und waren/sind im Bereich Public Health wissenschaftlich tätig. Was reizt Sie besonders in dem Fachbereich?
Am Bereich Public Health reizt mich besonders, dass es sehr interdisziplinär ist. In der Bevölkerungsmedizin steht nicht, wie in der stationären oder ambulanten medizinischen Versorgung, primär das Individuum im Fokus, sondern Bevölkerungsgruppen. Es wird damit nicht nur die medizinische Ebene in den Blick genommen, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Determinanten von Gesundheit. Zudem liegt der Schwerpunkt auf der Prävention und der Gesunderhaltung von Menschen. Das finde ich ausgesprochen spannend. Public Health ist meine berufliche Basis. Der Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin ist mein Zugangsweg dazu. Es gibt jedoch viele berufliche Wege hinein in den Public Health-Bereich. An vielen Gesundheitsämter kann man zum Beispiel die Weiterbildung zum Facharzt für öffentliches Gesundheitswesen machen.
Was hat Sie dazu bewegt eine Facharztweiterbildung im Bereich Hygiene und Umweltmedizin beim Gesundheitsamt zu machen?
Meine Begeisterung für Keime, Infektionsepidemiologie und Prävention hat mich dazu bewogen, die Weiterbildung zur Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin zu machen. Mein Interesse für den Bereich Public Health war der Grund, die Facharztweiterbildung an einem Gesundheitsamt zu machen. Man kann die Facharztweiterbildung für Hygiene und Umweltmedizin aber auch in anderen Ausbildungsstätten z.B. in Hygieneabteilungen oder -instituten von Krankenhäusern oder in anderen Behörden absolvieren.
Wie können sich Mediziner*innen, die den Fachbereich vielleicht noch nicht so gut kennen, die Arbeit vorstellen?
Aktuell steht natürlich alles im Zeichen der SARS-CoV-2-Pandemie. Fast alle Mitarbeitenden des Gesundheitsamtes sind in die verschiedenen Bereiche der Pandemiebewältigung involviert. Auch ansonsten ist die Arbeit sehr vielfältig: In der Hygiene bewegt man sich in der Spanne zwischen Beratung, Überwachung und Sanktionierung. Ein Schwerpunkt ist die Beratung und Überwachung von Einrichtungen, z.B. medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Arztpraxen, aber auch Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten. Auch Einzelpersonen rufen an und wollen beraten werden. Die Felder, in denen man tätig ist, sind sehr unterschiedlich.
In der Krankenhaushygiene beschäftigt man sich z.B. mit multiresistenten Erregern, die dem Gesundheitsamt gemeldet werden. In der Bauhygiene berät man etwa zur Barrierefreiheit und zum Lärmschutz in Kindertagesstätten. Im Infektionsschutz gehen alle meldepflichtigen Erreger ein. Hier werden Meldungen gesammelt, weitergemeldet und Ausbruchsgeschehen, z.B. von Masern, erfasst und gemanaged. Außerdem muss oft Rücksprache gehalten werden mit den meldenden, in der Patientenversorgung tätigen Ärztinnen und Ärzten. In der Beratungsstelle für sexuell übertragbare Infektionen kann jede Bürgerin und jeder Bürger einen kostenlosen und anonymen HIV-Test erhalten. Außerdem gibt es ein erweitertes Screeningangebot für bestimmte Gruppen, wie Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. In der Tuberkulosefürsorge werden alle Tuberkuloseerkrankungen mitbetreut, beraten und die Therapie überwacht. Außerdem werden Kontaktpersonen erfasst und gescreent. In der Umwelthygiene geht es beispielsweise um die Überwachung der Wasserqualität bei Badewasser. Auch wenn man schwerpunktmäßig in einem Bereich tätig ist, wechseln sich in der Regel Tätigkeiten wie Begehungen, Erstellen von Protokollen, telefonische Beratungen und Impfen in der Impfstelle ab.
Wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen in der Fachdisziplin?
Aktuell sehe ich eine große Chance für den Bereich Hygiene darin, dass die SARS-CoV-2-Pandemie aufzeigt, wie wichtig Hygiene als Basis für die Gesundheit aller ist. Durch die große Mobilität der Menschen heute können sich Infektionskrankheiten sehr leicht und schnell ausbreiten. Mir gefällt es gut, dass in der Hygiene oft mit relativ einfachen Maßnahmen, wie z.B. Umstrukturierungen, große Effekte erreicht werden können. Eine ganz konkrete Chance für diejenigen, die sich für die Facharztweiterbildung interessieren ist, dass die Nachfrage nach Fachärztinnen und -ärzten für Hygiene sehr groß ist.
Herausforderungen sehe ich darin, die Fachdisziplin Hygiene und Umweltmedizin bei Medizinstudierenden noch bekannter zu machen, um mehr Nachwuchs zu rekrutieren. Da würde ich mir wünschen, dass die Hygiene im Medizinstudium noch präsenter wird. Es ist wirklich ein spannendes Fach! Zum anderen liegt eine generelle Herausforderung bei gut funktionierenden Präventionsmaßnahmen darin, dass nicht erkannt wird, was eigentlich im Hintergrund dafür geleistet wird, damit etwas nicht eintritt. Der Wert von Prävention und die Arbeit, die dahintersteckt, wird nicht gesehen ebenso wenig wie die Gesundheitsgefahren, die eingetreten wären, wenn man bestimmte Maßnahmen nicht ergriffen hätte. Zudem kann die Tätigkeit in der Hygiene manchmal undankbar sein, weil man so ein bisschen der Nörgler oder die Nörglerin ist. Da muss man Wege finden, das auszuhalten, weil man ja Strukturen so verändern möchte, dass schlussendlich bessere Bedingungen für Menschen geschaffen werden.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken?
Das Gesundheitswesen in Deutschland besteht aus drei Säulen: Dem ambulanten Sektor, dem stationären Sektor und eben dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat einen Blick auf Gesundheit, den sonst niemand hat, nämlich auf Bevölkerungsgruppen. Wer diese Gruppen sind, ist ganz verschieden, das kann die breite Bevölkerung sein oder z.B. Kinder und Jugendliche. Innerhalb seiner hoheitlichen Aufgaben hat der Öffentliche Gesundheitsdienst wie keine andere Stelle die Möglichkeit, bestimmte Maßnahmen umzusetzen, wie Schuleingangsuntersuchungen oder während der Pandemie die Isolierungsmaßnahmen von Corona-Fällen und Kontaktpersonen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst fängt im Sinne der subsidiären Individualmedizin aber auch Leute auf, die bei der „klassischen“ Individualmedizin manchmal durch die Maschen fallen, etwa wegen fehlender Krankenversicherung.
Zudem agiert der Öffentliche Gesundheitsdienst frei von finanziellen Interessen und wirkt, wie bei Krankenhausbegehungen, als neutraler Beobachter „von außen“, wodurch wertvoller Input geliefert werden kann. Zudem überwacht der Öffentliche Gesundheitsdienst gesundheitsrelevante Bereiche, in die die Individualmedizin nicht hineinkommt, wie bei Badegewässern. Die Perspektive des Öffentlichen Gesundheitsdienstes komplettiert den individualmedizinischen Ansatz der ambulanten und stationären Versorgung. Aber nur mit guter personeller Besetzung und Ausstattung kann der Öffentliche Gesundheitsdienst seine Aufgaben auch wahrnehmen.
Wie ist es um den Nachwuchs im Bereich Public Health bestellt? Ist die Disziplin unter jungen Mediziner*innen beliebt?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es viele Medizinstudierende gibt, die den Bereich Public Health und die Arbeit im Öffentlichen Gesundheitsdienst sehr interessant finden und sich engagieren. Es gibt Plattformen wie das Zukunftsforum Public Health, das Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen des Public Health Feldes, auch aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, zusammenbringt. Ebenso gibt es das Nachwuchsnetzwerk ÖGD, in dem sich Medizinstudierende und junge Ärztinnen und Ärzte mit Interesse am öffentliche Gesundheitsdienst zusammengeschlossen haben. Wie für die Hygiene wünsche ich mir jedoch auch für die Themenbereiche Öffentlicher Gesundheitsdienst und Public Health eine größere Präsenz im Medizinstudium. Auch hier sehe ich die SARS-CoV-2-Pandemie als Chance: Die Pandemie hat die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen Bereich gelenkt und aufgezeigt, wie wichtig ein funktionierender und intersektoral vernetzter Öffentlicher Gesundheitsdienst für das Funktionieren des Gesundheitswesens insgesamt ist.
Und Leipzig als Ort zum Leben,- wie gefällt Ihnen die Stadt, haben Sie einen Lieblingsort?
Einen erklärten Lieblingsort habe ich tatsächlich nicht. Ich finde, dass Leipzig insgesamt eine tolle Stadt ist, in der viel passiert und die sich ständig weiterentwickelt. Leipzig ist sehr dynamisch, es gibt viel zu entdecken und unternehmen.